Initiative Arberlandviertel Karlshorst

Eine Initiative der Anwohnergemeinschaft für eine familienfreundliche und ökologisch nachhaltige Stadtteilentwicklung

Faktenblatt zum Einwohnerantrag Rheinpfalzallee 83

Soziale Infrastruktur statt Sozialer Brennpunkt!

– Ein Faktenblatt zum Einwohnerantrag Rheinpfalzallee 83 – 

Mit diesem Antrag ersucht die An(Ein)wohnerinitiative die Bezirksverordneten von  Lichtenberg, das zentral gelegene Areal gemäß dem BVV-Beschluss von 2017 als Gemeinbedarfsfläche mit der Zweckbestimmung Jugendfreizeiteinrichtung, Kindertagesstätte und Grundschule zu sichern. Darüber hinaus sollen Wohnungen für Flüchtlinge und andere Bevölkerungsgruppen gebaut werden, die sich baulich in das Wohngebiet einfügen und den dringend benötigten sozialen Einrichtungen nicht entgegenstehen.

  • Der Beschluss der BVV Lichtenberg vom 19.10.2017 ist die Grundlage für diesen Einwohnerantrag. Gemäß einem Dringlichkeitsantrag der Fraktionen Die Linken, SPD und Grünen wurde damals beschlossen, dass der Verkauf an private Investoren gestoppt, die Fläche von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) an das Land Berlin übertragen werden soll und das Bezirksamt einen Bebauungsplan aufstellt. Der Bebauungsplan 11-160 sollte Abhilfe für die mangelnde Versorgungssituation an sozialer Infrastruktur (Schule, Kita und Jugendfreizeiteinrichtung) in diesem Teil von Karlshorst schaffen.
    Warum wurde dann das Bebauungsplanverfahren eingestellt?
  • Den Bau von Modularen Unterkünften für Flüchtlinge (MUF) an der Rheinpfalzallee hat der Senat eingefordert und damit die ursprünglichen Planungsziele des Aufstellungsbeschlusses 11-160, eine Gemeinbedarfsfläche festzusetzen, konterkariert. Der Senat setzte sich auch über die vom Bezirk vorgesehene Alternative für einen besseren MUF-Standort an der Zobtener Straße, der „gute Bedingungen für integriertes Wohnen“ bietet, bedenkenlos hinweg. Statt der benötigten sozialen Einrichtungen und Wohnungen für alle Bevölkerungsgruppen sollen offenbar leerstehende Unterkünfte gebaut werden. Wieso?
  • Das Bauvorhaben der HOWOGE besteht aus völlig überdimensionierten Baukörpern und wurde ohne Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit im August 2019 beantragt. Nach wie vor ist es nebulös, wie das Nebeneinander von Schule, Kita und Jugendfreizeit mit den MUFs auf der begrenzten Fläche vom Privatunternehmen HOWOGE realisiert werden soll. Warum werden die so dringend benötigten Bildungseinrichtungen nicht von der öffentlichen Hand und vor einem weiteren Bevölkerungszuwachs errichtet?
  • Das Bezirksamt erachtet den geplanten Bau für nicht zulässig. Die Voraussetzungen des § 34 BauGB sind nicht erfüllt. Auch das Verwaltungsgericht Berlin hat kürzlich festgestellt, dass das Bauvorhaben der Vorhabenträger rechtswidrig ist. Der Senat hat aber sein eigenes Bauvorhaben von den baurechtlichen Vorschriften befreit. Es kann nicht sein, dass sich der Bezirksbürgermeister und der Senat von Berlin selbst nicht an die Vorgaben halten, die sie von jedem Bürger verlangen, nämlich sich rechtmäßig zu verhalten.
  • Der Runde Tisch Rheinpfalzallee wurde entgegen dem BVV-Beschluss vom 20.02.2020 erst nach Erteilung der Baugenehmigung durch die Senatsverwaltung anberaumt. Obwohl Möglichkeiten einer alternativen Bebauung im Gebiet Karlshorst Nord-Ost vom Bezirksamt, dem Bürgerverein Berlin-Karlshorst e.V. (BVK) und den Anwohnern aufgezeigt wurden, waren weder Senatsverwaltungen noch der Bauherr bereit, von der Baugenehmigung auch nur in einem einzigen Punkt abzuweichen.

Der BVK unterstützt die An- und Einwohner bei ihren Forderungen. Gute Lokalpolitik und Stadtentwicklung nimmt Bürgerbeteiligung ernst und stellt sich den Herausforderungen der stark wachsenden Kommune in Karlshorst. Die Senatsverwaltung soll die Baugenehmigung zurücknehmen und ein Bebauungsplanverfahren durchführen. Der Verkaufsstopp an private Investoren durch die BVV Lichtenberg darf am Ende nicht dazu führen, dass die Allgemeinheit von der Fläche in der Rheinpfalzallee nichts hat, stattdessen aber der Notstand an sozialen Einrichtungen sich verschlimmert.

Die Immobilie

Das Areal an der Rheinpfalzallee 83 besteht aus den Grundstücken Rheinpfalzallee 83, Rheinpfalzallee 91, 93 und Zwieseler Straße 61 und liegt im nordöstlichen Teil von Karlshorst. Nach der Eingemeindung von Karlshorst 1920 wurde das ganze Gebiet nach und nach erschlossen und die öffentliche Infrastruktur für ein Wohngebiet mit Ein- und Zweifamilienhäusern geschaffen. Siegesmund von Treskow und der Landwirt August Sange haben ihre Flächen damals an viele kleine Häuslebauer verkauft und so die Stadtentwicklung ermöglicht. Nach dem zweiten Weltkrieg lag das Areal zunächst im Sperrkreis der Roten Armee. In den 1960er Jahren hat dann die NVA bzw. die Grenztruppen der DDR Baracken für Soldaten und Garagen für LKWs und PKWs darauf errichtet. Nach 1990 wurden die Baracken u.a. als Arztpraxen genutzt und der Garagenhof für von der Polizei beschlagnahmte Fahrzeuge. Nachdem die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) das Areal an der Rheinpfalzallee mehrfach, aber erfolglos dem Land Berlin angeboten hatte, wurde es im Oktober 2017 öffentlich zum Verkauf ausgeschrieben. Daraufhin hatten sich zahlreiche Interessenten das Areal angesehen und wirtschaftliche Gebote abgegeben. Warum hatte das Land die Übergabeangebote der BImA vor der Ausschreibung abgelehnt? 

Der Beschluss (BVV-012/VII) vom 19.10.2017

Der Grund für den Einwohnerantrag war und ist der Beschluss der BVV vom 19. Oktober 2017. Das Planungsziel war die Festsetzung einer Gemeinbedarfsfläche mit der Zweckbestimmung „Schule, Jugendfreizeit und Kindertagesstätte“. Die BVV hat damals – also vor über drei Jahren – richtig erkannt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt eklatante Fehlbedarfe bei Kita- und Schulplätzen sowie Jugend- und Senioreneinrichtungen vorliegen. Laut Amt für Statistik Berlin Brandenburg hatte Karlshorst Anfang 2007 einen Bevölkerungsstand von ca. 20.000; 2017 waren es dann über 27.000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Die öffentliche Infrastruktur reicht für dieses anhaltend starke Bevölkerungswachstum nicht aus und muss dringend ausgebaut werden. Heute werden kleine Grundschüler von der Lew-Tolstoi-Schule mit Bussen in andere Stadtteile gekarrt. Die Jugend hat überhaupt keine Möglichkeit sich außerhalb der Schule in Freizeiteinrichtungen zu treffen. Auf dem über 100 Jahre alten Sportplatz östlich der Zwieseler Straße wurde die Gartenstadt errichtet und kein Ersatz geschaffen. Auch die anderen öffentlichen Infrastrukturen wie Verkehrswege und die Wasserversorgung wurden vor 100 Jahren angelegt und sind bei diesem Bevölkerungswachstum längst an ihre Grenzen gestoßen. Der Bebauungsplan 11-160 sollte Abhilfe für die mangelnde Versorgungssituation in diesem Teil von Karlshorst schaffen. Warum wurde das Bebauungsplanverfahren 11-160 dann eingestellt?

Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge (MUF) 

Im Januar 2018 hat das Bezirksamt Lichtenberg der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen gemäß Landesplanungsvertrag die beabsichtigte Aufstellung des Bebauungsplans 11-160 „Rheinpfalzallee 83“ mit dem Ziel, eine Gemeinbedarfsfläche festzusetzen, mitgeteilt. Der Senat hat daraufhin den Bau von Flüchtlingsunterkünften ins Spiel gebracht.

In einer Pressemitteilung vom 28.Februar 2018 gab das Bezirksamt zwei Standorte für die Flüchtlingsunterbringung bekannt. Und zwar würden die Planungen des Senats zur Errichtung einer MUF in der Köpenicker Allee unterstützt. Die Rheinpfalzallee ist dagegen als Standort ungeeignet. Stattdessen soll in der Zobtener Straße eine MUF gebaut werden, weil dort „gute Bedingungen für integriertes Wohnen“ vorliegen. Die Verwaltungsangestellten des Berliner Senats setzten sich jedoch ohne Skrupel über das Votum der gewählten Bezirksvertreter hinweg und beauftragten das landeseigene Privatunternehmen HOWOGE, das Areal an der Rheinpfalzallee zu erwerben und mehrere MUFs zu errichten. Kürzlich teilte die Senatsverwaltung sogar mit, dass an der Zobtener Straße keine MUF mehr benötigt wird, da es Überkapazitäten an Flüchtlingsunterkünften im Bezirk Lichtenberg gibt. In der Tat, eine Anfrage im Abgeordnetenhaus ergab, dass derzeit in ganz Berlin 24.267 Plätze für Asylbewerber zur Verfügung stehen und davon nur 18.835 Plätze belegt sind. Trotz dieser offensichtlichen Überkapazität soll die Zahl der Plätze auf 27.863 noch erhöht werden. Warum werden von den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften nicht Wohnungen für alle Bevölkerungsgruppen gebaut – anstatt leerstehende Unterkünfte für nicht vorhandene Flüchtlinge?

Das Bauvorhaben der HOWOGE

Ohne die betroffene Öffentlichkeit zu informieren, hat die HOWOGE im August 2019 einen Bauantrag zur Errichtung von drei völlig überdimensionierten Baukörpern bei der Senatsverwaltung eingereicht. Die Anwohner haben von dem Vorhaben nur erfahren, weil Vermessungsingenieure vor Ort die Fläche und Umgebung vermessen haben. Im November 2019, in einer vom Bürgerverein Berlin-Karlshorst e.V. (BVK) organisierten Einwohnerversammlung, hat dann das Bezirksamt und die Howoge die Bürgerinnen und Bürger über das Bauvorhaben informiert. Angeblich sei ein Kompromiss ausgehandelt worden, wonach nun zwei Riegel mit knapp 80 m Länge und vier Geschossen errichtet werden sollen und der übrige Teil des Grundstücks für eine Schule zur Verfügung stehen würde. Im komplett überfüllten Kulturhaus haben die Bürgerinnen und Bürger ihren Unmut über das Vorhaben deutlich gemacht. Anstatt der so dringend benötigten sozialen Infrastruktur wird aus Sicht der Einwohner ein sozialer Brennpunkt entstehen. Die Einwohnerschaft forderte deshalb eine Beteiligung an der Planung vor Erteilung einer Baugenehmigung. Es blieb nebulös, wie das Nebeneinander von Schule, Kita und Jugendfreizeiteinrichtung mit den MUFs für 385 Flüchtlinge auf der begrenzten Fläche realisiert werden soll. In einem Bebauungsplanverfahren hätte eine Machbarkeitsstudie sicher Aufschluss darüber gegeben. Bis heute ist jedoch unklar, ob ein Teil der Fläche an den Bezirk Lichtenberg übergeben wird und der darauf die sozialen Einrichtungen selbst errichtet. Oder ob das Privatunternehmen HOWOGE die gesamte Fläche bebauen will und dann sehr teuer an den Bezirk vermietet – quasi eine Privatisierung der Bildung durch die Hintertür. Schulbauten und die Grundstücke, auf denen sie stehen, gehören in die öffentliche Hand. Aus Sicht der Öffentlichkeit sind einzig die MUFs von der Senatsverwaltung im Februar 2020 genehmigt worden. Die Ziele des BVV-Beschlusses von 2017 wurden dem Anschein nach aufgegebenen. Es existiert jedenfalls weder ein Bauantrag für eine Schule noch für irgendeine andere soziale Einrichtung. Die Senatsvertreter verkünden allenthalben, in die MUFs würden Familien mit bis zu 150 Kindern einziehen. Sollten tatsächlich so viele Kinder hinzukommen, würde sich der Schulnotstand weiter verschärfen. Warum werden nicht zuerst die so dringend benötigten sozialen Infrastrukturen geschaffen?

Die Forderungen der Anwohner

Aufgrund der gezeigten Ignoranz gegenüber den Belangen der ortsansässigen Bevölkerungen seitens der Vorhabenträger wurde auf der Einwohnerversammlung die Idee zu einem Einwohnerantrag geboren. Die mündlich vorgetragenen Forderungen wurden zusammengefasst im Antrag formuliert. Insbesondere müssen die Ziele des BVV-Beschlusses von 2017 umgesetzt werden und eine Wohnbebauung muss sich nach den Bestimmungen des § 34 BauGB in die Umgebung einfügen. Das Verwaltungsgericht Berlin hat kürzlich festgestellt, dass das Bauvorhaben der Vorhabenträger rechtswidrig ist. Damit kommt das Gericht zum gleichen Ergebnis wie das Bezirksamt. In seiner Stellungnahme zum Bauvorhaben hat das Amt den geplanten Bau ebenfalls für nicht zulässig erachtet. Der Senat hat aber die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft – also sich selbst – von den baurechtlichen Vorschriften befreit. Man stelle sich mal vor, die Deutsche Wohnen hätte einen ähnlichen Bauantrag gestellt oder Tesla würde in Grünheide rechtswidrig eine Giga-Fabrik bauen, die nur gebaut werden kann, weil die Landesregierung die Bauvorschriften außer Kraft setzt. Skandal!

Die Einwohnerschaft von Karlshorst wird die BVV Lichtenberg hier nicht von der Verantwortung befreien und wird, wenn es sein muss, alle Rechtsmittel – bis hin zum BVerwG und EuGH – ausschöpfen. Es kann nicht sein, dass sich der Bezirksbürgermeister und der Senat von Berlin selbst nicht an die Vorgaben halten, die sie von jedem Bürger verlangen, nämlich sich rechtmäßig zu verhalten.

Der Runde Tisch Rheinpfalzallee

Obwohl der Senatsvertreter einen Runder Tisch, zur Mitgestaltung einer gemeinsamen Kompromisslinie, auf der Einwohnerversammlung zugesagt hatte, wurde die Baugenehmigung ohne weitere Bürgerbeteiligung erteilt. Da half auch ein Beschluss der BVV zum Runden Tisch Rheinpfalzallee vom 20.02.2020 nichts. Erst nach erteilter Baugenehmigung bequemten sich Senatsverwaltungen und HOWOGE dazu, einem Runden Tisch zuzustimmen. Ziel des Runden Tisches war es, „zumindest scheinbar“ die Belange der Anwohner zu berücksichtigen. Diese betrafen vordergründig die Sicherung des Grundstücks für die Daseinsvorsorge (Kita, Schule, Jugendeinrichtung) auf dem Grundstück Rheinpfalzalle 83 und eine Alternative zur Baugenehmigung, welche ausschließlich die Bebauung mit MUFs vorsieht, zu erarbeiten.

Wegen Corona nur im virtuellen Raum stattfindend, zeigte der Runde Tisch erst Lichtblicke (indem Möglichkeiten einer Bebauung im Gebiet Karlshorst Nord-Ost aufgezeigt wurden), um dann schnell wieder auf die Schattenseite zu wechseln – weder Senatsverwaltungen noch Bauherr wollen von der Baugenehmigung abweichen. Begründet wurde dies damit, dass keine Verzögerungen des Baus durch Umplanungen gestattet wären. Selbst ein Boykott einer Sitzung durch die Anwohner wurde achselzuckend hingenommen, um ungerührt mit der Tagesordnung fortzufahren.

Die vermeintliche Absichtserklärung „Letter of Intent (LoI) “, welche der Staatssekretär für Integration persönlich den Bürgern in Karlshorst öffentlich zugesagt hatte, erwies sich bislang als Schall und Rauch. Ein Schulbau auf dem Grundstück ist weder im Investitionsprogramm 2019-2023 noch im Kernhaushalt und auch nicht im Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt (SIWA) berücksichtigt. Die Errichtung einer Grundschule in Typenbauweise durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen ist auf Grund der Grundstückssituation und der weiteren auf dem Grundstück zur Realisierung vorgesehenen Nutzung nicht möglich.

Einwände der Anwohner wurden weitestgehend ignoriert, ein Integrationskonzept wurde z.B. nur durch die Pressestelle des LAF „erarbeitet“. Es gab nicht ein einziges Zugeständnis, die Anwohnern und der BVK stimmt deswegen gegen ein vorzeitiges Ende des Runden Tisches und trotzdem wurde auf den Webseiten des Bezirksamtes Lichtenbergs eine Abschlusserklärung veröffentlicht. Die Beteiligten wurden erst nach 24 Stunden darüber informiert. Auch der energische Protest des Vorsitzenden des Bürgervereins Berlin-Karlshorst e.V. und gleichzeitigen Sprechers des Runden Tisches, Dr. Köhler, änderte diese Haltung nicht.

Alles in allem ist dieser Runde Tisch lediglich ein erneutes Beispiel dafür, dass Bürgerbeteiligung nur dann gewünscht wird, wenn entweder die Ergebnisse Politik und Verwaltung genehm sind, oder lediglich Petitessen zu entscheiden sind.